Das besondere Kunstwerk Teil 4: Schmuckstücke aus dem 10. Jahrhundert

Ohrring: Tempelhof/Świątki, Woj. Zachodniopomorskie, Polen, 2. H. 10. Jh. | Silber | L. 10,5 cm, B. 2,2 cm, Gewicht 6,9 g | Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Altbestand Märkisches Museum, II 7284

Silberarmreif: Fundort Klein-Roscharden, Ldkr. Cloppenburg, 10. Jahrhundert; vergraben nach 1002 | Silberblech, außen: flächendeckende Gravierung; Ringkette Tremolierstich | B. 1,8 cm, Dm. 69–75 mm | Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg, 1389

 

Ein Silberarmreif und ein Ohrring erzählen (Liebes-)Geschichten aus Thietmars Welt

Der Silberarmreif aus dem Schatzfund II von Klein-Roscharden ist eines der wenigen Schmuckstücke, die in dem Gebiet westlich der Elbe gefunden wurden und nicht-slawisch ist. Er wird sicher einer höher gestellten Dame gehört haben, die sich solchen Schmuck leisten konnte. Er steht in der Ausstellung für Liutgard, die sicher ähnlichen Schmuck getragen haben wird und deren Geschichte Thietmar als einziger Chronist berichtet. Seinem Vetter, Markgraf Werner, war Liutgard zur Frau versprochen worden. Allerdings löste der Vater der Braut aufgrund von anderen Heiratsoptionen das Verlöbnis wieder auf, wodurch Werner in seiner Ehre stark gekränkt wurde und sich entschloss, Liutgard zu entführen. Diese befand sich zu der Zeit im Quedlinburger Damenstift, deren Äbtissin Mathilde zeitweise die Reichsgeschäfte übertragen worden waren, da Otto III. sich in Italien aufhielt. Die adligen Mädchen wurden häufig zur Erziehung in ein solches Damenstift gegeben, was auch bei Liutgard der Fall war. Markgraf Werner hatte leichtes Spiel seine Verlobte aus dem Stift zu entführen, wie Thietmar berichtet „aus Liebe zu dem Mädchen und aus Furcht vor öffentlicher Beschimpfung“. Eine Gesandtschaft zog daraufhin zu Werner und Liutgard und erkundigte sich nach dem Willen des Mädchens. Liutgard entschied sich dafür bei Markgraf Werner zu bleiben und diesen zu heiraten.

Eine ganz andere Geschichte erzählt ein Silberohrring, der aus der zweiten Hälfte des 10 Jahrhunderts stammt und 1878 in Polen gefunden wurde. Nach Ansicht Thietmars waren Frauen, die teuren Schmuck trugen, damit gänzlich unpassend gekleidet. Stattdessen hebt er den christlich geprägten Lebenswandel der Gräfin Christina hervor. Als ein Beispiel führt er an, dass sie einen Teil ihres Erbgutes an den Magdeburger Dom gespendet habe. Ihr Tod wurde dem Magdeburger Erzbischof Giselher durch ein Traumgesicht berichtet, in dem es heißt: „Weißt du, dass sich alle himmlischen Heerscharen für die Ankunft einer Christus getreuen Seele und zum würdigen Empfange einer solchen Braut rüsten?“. Thietmar fügt diesen Erzählungen noch hinzu: „Sie, die alle guten Taten heimlich im Herzen barg, war anderen modernen Frauen sehr unähnlich; denn viele von ihnen kleiden ihren Leib unziemlich und zeigen alle Liebhabern offen, was sie feilzubieten haben. Obwohl sie ein Greuel vor Gott und eine Schande unserer Zeit sind, gehen sie ohne jede Scheu allem Volke zur Schau einher. Schlimm und sehr beklagenswert ist es, dass kein Sünder im Verborgenen bleiben, sondern den Guten zum Spott, den Bösen zum Beispiel hervortreten will.“

Wer sich die Schmuckstücke ansehen möchte, besucht die Ausstellung „Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“ im Merseburger Dom und in der Willi-Sitte-Galerie. Sie ist noch bis zum 4. November zu sehen.